Wortbetrachtung Geist
Der ganze Reichtum unserer Sprache erschließt sich erst in der Zusammenschau unterschiedlicher Bedeutungen ein und desselben Wortes und der sprachverwandten Wörter. Nehmen wir das Wort / Geist /. Erstens meint Geist unser Denken, z.B. die Errungenschaften des menschlichen Geistes. Dazu Geistesblitz, Geistesgaben, Geistesgegenwart, Geistesabwesenheit, Geisteskraft, Geistesgröße, Geistesschwäche, Geisteszustand, Geistesverfassung, Geistesverwirrung.
Nicht alle Gedankenverbindungen mit / Geist / spiegeln sich in solchen Zusammensetzungen. Hier einige Genitivattribute: der Geist der Reform, der Rache, der Intoleranz, des Sektierertums, des Fanatismus oder der Aufklärung. Damit wird die Geisteshaltung eines ganzen Zeitalters, einer politischen oder religiösen Bewegung angesprochen. Wer jetzt versucht, die zusammengesetzten Wörter in einem Kontext durch den Gebrauch des Genitivs zu ersetzen, wird kaum auf die Zusammensetzung verzichten wollen, zumal sich sonst unhandliche Wortketten bilden würden, wenn weitere Zuschreibungen erwünscht sind, z.B. die Größe des Geistes dieses Wegbereiters der Demokratie. Dann doch lieber: die Geistesgröße dieses Wegbereiters der Demokratie.
2. kann Geist ebenso wie seine Zusammensetzungen auch eine Person meinen, etwa eine Geistesgröße des 19. Jahrhunderts. Widerspruchsgeist kann eine Person erfüllen, er kann aber auch die Person meinen, etwa: Ein Widerspruchsgeist wie er ist ziemlich anstrengend für die Kollegen.
Ein Feuergeist könnte ein Wesen des Aberglaubens sein, das im Feuer existiert. Man bezeichnet damit aber auch einen Menschen starker Leidenschaft oder großen Einfallsreichtums. Ein Freigeist hängt keinem bestimmten Glauben an und ein Feingeist dürfte kultiviert und sensibel sein. Kleingeister bleiben in ihrem Denken dem Hergebrachten verhaftet.
Unruhegeist können wir eine Person nennen, die von Unruhe erfüllt ist.
Plage- und Quälgeister können Menschen und Tiere sein.
3.Geister treten als Wesen des Aberglaubens oder der Fantasie in vielerlei Verbindungen auf. Ein Poltergeist gilt als Verursacher unerklärlichen Gepolters. Ähnliche Gesellen treten als Kellergeister, Schlossgeister oder als Fluss- und Waldgeister auf. Ein weites Feld also für Geisterglauben, Geisterbeschwörung und Geistheiler.
4.Der Geisterfahrer kommt uns nur so vor, als wäre er ein Geist. Vielleicht hat er nur dem Weingeist zu sehr zugesprochen.
Man wird die Geister, die man rief, aber nicht leicht wieder los. So fühlen wir uns manchmal wie in einer Geisterbahn.
Auch in anderen Wortarten und Redewendungen kann einiges herumgeistern.
Es ist nicht leicht zu erkennen, wes Geisteskind jemand ist. In einem Zustand der geistigen Erschöpfung hilft oft Kaffee, die Lebensgeister zu wecken. Nur selten wird alles wie von Geisterhand wieder gut. Zum Glück können wir uns für vielerlei begeistern und sind dann musikbegeistert, sportbegeistert oder kunstbegeistert. Unsere Begeisterung könnte uns aber auch bei der Erforschung der Sprache beflügeln. Da begegnen uns manche geisterhaften Phänomene vom geistigen Höhenflug bis zum geistlosen Wirtshausdiskurs, vom geistsprühenden Redner bis zum geisttötenden Schwätzer. Wir begegnen geistvollen, geistreichen, geistesschwachen, geisteskranken und geistesgestörten Zeitgenossen. Am liebsten sind uns geistesverwandte Mitmenschen.
Die Geistlichen sind noch eine eigene Kategorie. Sie mögen den heiligen Geist anrufen, sollten aber nicht zu vergeistigt sein.
Wem das jetzt allmählich auf den Geist geht, der kann beruhigt sein, denn jetzt lassen wir den Geist wehen, wo er will.